Dienstag, 14. Juli 2009

Einführung zur Ausstellung von Stefano Ricci und Anke Feuchtenberger

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde.

Ich begrüße Sie recht herzlich zur Ausstellungseröffnung von Anke Feuchtenberger und Stefano Ricci, die beide trotz der organisatorischen Schwierigkeiten zwischen mehreren Ausstellungen den Weg zu uns gefunden haben, um bei der Eröffnung dabei zu sein. Dafür möchte ich mich an erster Stelle bedanken, und natürlich dafür, dass sie unserer Einladung gefolgt sind und uns ihre wunderbaren Arbeiten zur Verfügung gestellt haben.

Lassen Sie mich zunächst kurz ein paar Worte zu den beiden Künstler sagen. Anke und Stefano leben gemeinsam in der Nähe von Greifswald und sind beide Lehrende an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg. Außerdem betreiben sie gemeinsam den MaMi Verlag, wo sie die Bücher anderer Zeichner verlegen. Beide gelten als bedeutende Vetreter des Avantgarde-Comic.

Wir widmen uns mit dieser Ausstellung nicht nur diesen international beachteten Zeichnern sondern auch dem Comic als künstlerischem Medium. Dies ist insofern wichtig, als dass es in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit noch immer nicht selbstverständlich ist, diese beiden Begriffe – Comic und Kunst – gleichzeitig in den Mund zu nehmen, was eigentlich erstaunlich ist, wenn man beispielsweise bedenkt, dass Lyonel Feininger mit The Kin-der-Kids einen Klassiker des Comic schuf und dass der Einfluss des Genres auf die sogenannte Bildende Kunst (Stichwort : Pop Art) unbestritten ist. Vielleicht liegt es daran, dass die Bildergeschichten so eng mit der eigenen Kindheit verwoben sind und man sich meist an das komische Element erinnert. Möglicherweise liegt es also nur an einer Begrifflichkeit.
Im angelsächsischen Sprachraum hat man dieses Problem elegant gelöst, indem man von der Graphic Novel spricht, eine Bezeichnung, die Türen zur Literatur öffnet und dabei das künstlerische Handwerk in Form der Grafik ebenso im Blick behält. Überhaupt ist die Diskussion betreffend der „Kunstwürdigkeit“ von Comics dort eher unwichtig, was wohl mit einem anderen Kunstbegriff insgesamt begründet werden kann. Wenn man einen Blick auf die Sammlungen des Museum of Modern Art in New York wirft, wo Malerei, Design, Architektur, Film, Illustration usw. gleichberechtigt nebeneinander stehen, unter dem Dach des Terminus „Modern ART“, muss man sich über kleinliche Grabenkämpfe der Disziplinen eher wundern.

Ob es sich bei den Arbeiten von Anke Feuchtenberger und Stefano Ricci um Kunst handelt, darüber soll also an dieser Stelle nicht debattiert werden. Dadurch, dass wir ihre Arbeiten im Kontext eines Kunstvereins zeigen, haben wir, so denke ich, unser Statement zu dieser Frage abgegeben. (JA, es ist Kunst!)
Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich kein großer Kenner der Comic-Szene bin. Von daher ist mein ganzer Zugang zu diesen Arbeiten eher aus einer Blickrichtung der „Kunst“; und wenn man bedenkt, welche Renaissance das Medium der Zeichnung in den letzten Jahren erfahren hat, muss man sich auch fragen, warum wir keine viel breitere Rezeption des avantgardistischen Comics erleben. Nun, möglicherweise und hoffentlich können wir unseren Teil mit dieser Ausstellung hierzu beitragen.

Anke Feuchtenbergers Bildgeschichten zeigen ganz klar auf, warum es sich nicht um Comics im herkömmlichen Sinn handelt. Die Erzählungen sind nicht klar umrissen und erinnern eher an Traumsequenzen, die symbolisch aufgeladen sind. Wir als Betrachter sind gefordert, unseren eigenen Schlüssel zu den Geschichten zu finden, die in ihren Bildabfolgen nicht dem gängigen Erzählschema der Sprechblasenheftchen folgen. Es ist aufgrund ihrer Symbolik und der assoziativen Bildsprache nahe liegend ihre Arbeiten als surrealistisch zu benennen. Demnach würden sie aber etwas darstellen, das sich über der Ebene des Realen bewegt, sie würden eine Enttextualisierung betreiben.
Genau dies ist meiner Meinung nach aber nicht der Fall. In ihren Sequenzen sucht Anke Feuchtenberger nach adäquaten Mitteln, sehr reale Umstände, Zustände, Empfindungen und Wahrnehmung zeichnerisch zu übersetzen. Dabei spielen Phantastik und Märchenhaftes eine Rolle und die Protagonisten erleben kafkaeske Momente.

In quantitativ überschaubaren Bildern findet eine Verdichtung von Zeit und Emotionen statt, eine Fähigkeit, die sich vielleicht aus dem Ursprung ihrer Arbeit, der Gestaltung von Plakaten, entwickelt hat, wo es ja unter anderem auch darum geht, soviel Informationen wie möglich in einem Motiv zu bannen. Man könnte vielleicht für diese Arbeiten den Begriff „Grafic Poem“ wählen, anstatt „Grafic Novel“...
Auf jeden Fall wird die Nähe zur Literatur unter anderem in ihren Geschichten der „Hure H.“ deutlich, die sie gemeinsam mit der Schriftstellerin Katrin de Vries entwickelt hat und von denen drei Bände erschienen sind. Die Erlebnisse der Hure H., die sich abseits von dem bewegen, was der Titel vermuten lässt, speisen sich aus Prosatexten von de Vries, die von Anke Feuchtenberger in Zeichnungen umgesetzt werden. Thematisch drehen sie sich um Genderfragen, um Machtverhältnisse und Sexualität. Zu den strukturell einfachen, aber inhaltlich facettenreichen Textbildern entstehen aus Kohle und Papier keine Illustrationen, sondern Imaginationen, welche die sprachliche Ebene um eine visuelle Dimension anreichern. Die kontrastreichen und flächigen Kohlezeichnungen transportieren eine dunkle Stimmung zu einem schwierigen Thema. Aus einem der Bände sind hier einige Originalblätter als Auszüge aus den Geschichten zu sehen.

Von ähnlicher Dunkelheit geprägt sind auf den ersten Blick auch die Arbeiten von Stefano Ricci, dessen Bilder zunächst vor allem von einer technischen Seite her unsere Aufmerksamkeit erregen.
Seine Bilder sind nicht nur visuell eindrucksvoll, sondern bei näherer Betrachtung auch haptisch interessant. Die großformatigen Arbeiten, die sie hier sehen sind beispielsweise erstaunlicherweise Siebdrucke, die direkt auf diese Platten gepresst werden. Dazu kommt die außergewöhnliche Technik des „Floccaggio“, bei dem zunächst eine Art Klebeschicht gedruckt wird, auf die dann die Farbe aufgebügelt wird und zu einer samtenen Fläche wird. Der Effekt ist hier eine Schwärze, die alles zu schlucken scheint. Übrigens finden sie die Anwendung dieser Technik auch in der kleinen bunten Serie von Anke Feuchtenberger, die sie unten sehen können.
Auch die Papierarbeiten von Ricci weisen einen Materialmix auf, der von Tusche, Kohle und Acrylfarben bis zu Tesastreifen führt und den einzelnen Blättern so Eigenschaften eines Reliefs verleiht und das Medium Comic auf eine andere Art und Weise neu auslotet. Hier geht es auch um die Möglichkeit, Techniken der Malerei für das Comiczeichnen verfügbar zu machen. In der Transformation der einzelnen Blätter zu Bildergeschichten in Form eines Buchs kann der Künstler durch das Scannen oder Abfotografieren seiner Arbeiten sogar noch weitere Elemente wie Lichteffekte für seine Zwecke nutzbar machen.

Inhaltlich ist auffallend, dass wir in Stefano Riccis Arbeiten oft Fragen von Sein und Schein begegnen. Es finden Transformationen und Mutationen statt, ein Hut verschluckt seinen Träger und wird zu einem neuen Charakter – ein Affe verschwindet unter einem Schleier, wird unsichtbar. Bei den genannten Beispielen handelt es sich übrigens um Auszüge aus Trickfilmen. Die Geschichten die hier erzählt werden verhandeln auch Fragen von Wahrnehmung und Täuschung. Die zunächst dunkle Fassade kann allerdings nicht über einen gewissen Witz und Sinn für Humor hinwegtäuschen, der sich nicht unbedingt sofort erschließt. Oder hätten Sie gedacht, dass sich in dieser Ausstellung auch Bruno der Bär aufhält?

Diese beiden vorliegenden aktuellen Positionen aus der Independent-Comic-Szene zeigen uns auf beeindruckende Weise, dass in dem Medium Comic weit mehr Möglichkeiten liegen, als eine lineare Geschichte zu erzählen und Sprechblasen zu füllen. Die Tiefe und Komplexität ihrer sequenziellen Arbeiten schließt die Diskussion um den Wert des von Ihnen gewählten Mediums von vornherein aus, was wohl auch daran liegt, dass sie sich nicht auf die traditierte Form des Comic-Strips verlassen, sondern die Wege ausloten, die sie mit den Bildgeschichten erforschen können. In Trickfilmen, mit verschiedenen Arten des Zeichnens und ungewöhnlichen Druckverfahren.

So bleibt mir noch, mein Dank an alle unsere Sponsoren auszudrücken und natürlich an Sie, dass Sie uns zu diesem Anlass besuchen. Nochmals ein Dank an Anke und Stefano.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und erkläre die Ausstellung für eröffnet.

Mittwoch, 1. Juli 2009

ERÖFFNUNG: 12.7.09 // 12 UHR



Anke Feuchtenberger, 1963 in Ost-Berlin geboren, absolvierte zunächst ein Grafikstudium in Berlin-Weißensee und arbeitet seit 1997 freiberuflich in Hamburg.
Dort unterrichtet sie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften.
Ihr Stil ist einer kleinen Gruppe deutschsprachiger Künstler zuzuordnen, die seit den 1990er Jahren die etablierte Formensprache des Comics hinterfragt und eigene, radikale Entwürfe hinzufügt. Ihr Werk umfasst Gemälde, Zeichnungen, Comics, Plakate, Druckgrafik, Kostüme und Marionetten. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Bücher und Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften. Im Herbst 2008 erschien im gemeinsam mit dem italienischen Künstler Stefano Ricci gegründeten Mami-Verlag ein weiteres Buch mit Zeichnungen: wehwehwehsupertraene.de. Die Künstlerin erhielt 2008 mit dem "Max und Moritz-Preis" des internationalen Comic-Salons Erlangen die höchste Auszeichnung deutschsprachiger Comic-Kunst.
Ihre Bilder vertreten einen stark narrativen Ansatz, zeigen mehrschichtige Auseinandersetzungen mit dem weiblichen Körper: Wachstum, Fortpflanzung, Geburt; surreale Abstraktionen der Fremdheit im Eigenen. Eben das ist auch der Zugang. Die Zeichnungen sind von so beklemmender Intensität, dass sie mit einem Bild vielfache Geschichten einer absurd-vertrauten Welt erzählen, die versprachlicht Bände sprechen ließen.

Stefano Ricci, 1966 in Bologna, Italien geboren, lebt und arbeitet in Hamburg.
In seinen Zeichnungen verzichtet er weitgehend auf Illustrationen, in den Comics steht das Bild selbstständig im Mittelpunkt der Arbeit. In unterschiedlich langen Bildfolgen zeigt er Menschen und Tiere in knapp angedeuteten Räumen, meist in Schwarzweiß und Schattierungen. Durch die reduzierte, gegenständliche Darstellungsweise mit surrealen Effekten entsteht eine Atmosphäre, mehr Um- und Anriss als Erzählen von Geschichten. Diese stille Unbestimmtheit soll dem Betrachter eine subjektive Lesart ermöglichen. Den Schwerpunkt seines Werkes legt Ricci auf den Entstehungsprozess als solchen. Er dokumentiert den Prozess der Annäherung an die Zeichnung während der Arbeit. In der Arbeitsphase werden Skizzen nicht etwa von einem sogenannten Resultat einer bestimmten, gesuchten Form getrennt, sondern direkt auf das endgültige Papier gezeichnet. Hier werden Entwürfe hinterfragt, übermalt, manchmal gestrichen.
Ricci arbeitet mit verschiedensten Materialien und die so entstandenen sich überlagernden Schichten suggerieren eine Sichtbarkeit verdichteter Echt-Zeit. Die Ablagerung: eine ebenso sinnliche wie intellektuelle zeichnerische Befassung.
(Text: Lina Debs, kuratorische Assistenz)

Die Künstler sind anwesend.
Wir freuen uns auf Ihr Erscheinen!